Wissenschaftler aus Weißrussland versorgten Neutrebbiner Oberschüler mit Informationen aus erster Hand
Neutrebbin (MOZ) Die Neutrebbiner Oberschüler habe sich intensiv mit den Folgen der Nuklearkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima beschäftigt. Am Mittwoch konnten sie mit Wissenschaftlern des Unabhängigen Strahleninstituts Minsk diskutieren.

 

Auf Einladung des Solidaritätsdienstes (Sodi) „Mittlere Oder“ tourt derzeit eine Gruppe weißrussischer Wissenschaftler durch die Oberschulen der Region. Am Mittwoch waren Alexej Nesterenko, Leiter des Unabhängigen Strahleninstitutes Minsk, sein Stellvertreter Iwan Krasnopjorow sowie Sergej Stasikow als Übersetzer am Oberschulteil des Schulzentrums Neutrebbin. Die Schüler hatten sich vor dieser Gesprächsrunde mit dem Besuch einer Ausstellung „Wider das Vergessen“ im Gemeindezentrum über die als „Super- Gau“ in die Geschichte eingegangene Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl beschäftigt.

Entschuldigung: Hagen Weinberg von Sodi (stehend) bat die Neutrebbiner Jugendlichen um Verzeihung für den Zustand, in dem seine Generation ihnen die Erde übergibt.
Entschuldigung: Hagen Weinberg von Sodi (stehend) bat die Neutrebbiner Jugendlichen um Verzeihung für den Zustand, in dem seine Generation ihnen die Erde übergibt. Goto: Ulf Grieger

Hagen Weinberg, Leiter der Sodi-Gruppe, leitete die Debatte mit einer Entschuldigung an die junge Generation ein. „Ich entschuldige mich dafür, in welchem Zustand wir euch die Erde übergeben.“ Weinberg machte deutlich, dass die Freitags-Demos der Schüler für die Rettung des Klimas seine ganze Sympathie haben. Mit einem Dokumentarfilm wurde den Neunt- und Zehntklässlern gezeigt, welche Folgen die Nuklearkatastrophe 1986 hatte und wie auch durch den Solidaritätsdienst versucht wird, das Leiden insbesondere der Kinder zu lindern. Man gehe davon aus, dass rund 400 000 Kinder unter den Folgen der Katastrophe zu leiden haben. Trotzdem gebe es in Europa noch 74 Atomkraftwerke. Deutschland hatte sich nach der Katastrophe von Fukusjima in Japan, als vor acht Jahren ein Erdbeben und ein Tsunami einen Super-Gau verursachten, entschieden, bis 2022 alle deutschen Atomkraftwerke abzuschalten.

Die Schüler erwiesen sich als sehr interessiert. Sie fragten Alexej Nesterenko förmlich Löcher in den Bauch. Sie sparten aber auch nicht mit ganz klaren Statements dazu, dass sie Kernenergie generell ablehnen und dafür die Forschung an Speichertechnologien für Wind- und Solarenergie fordern, um die Klimaerwärmung durch CO2-Ausstoß zu stoppen. In Neutrebbin ist das Thema vielen Familien vertraut. Schließlich haben zahlreiche Eltern in der Bürgerinitiative dafür gesorgt, dass die vom Land geplante Kohlendioxid-Speicherung (CCS) im Oderbruch verworfen werden musste und somit die Grundlage für den beschlossenen Kohleausstieg gelegt wurde.

Nesterenko erläuterte, warum es Hunderte von Jahren dauern wird, ehe die verbotene Zone in der Ukraine und in Weißrußland rings um Tschernobyl wieder bewohnbar ist. Da sein Vater einst zur Untersuchungskommission des Super-Gaus von Tschernobyl gehörte, hat er Kenntnis von den Ursachen der Katastrophe. Zum einen hatte der Konstrukteur aus Kostengründen die eigentlich nötige Schutzkappe für das Atomkraftwerk weggelassen. Er kassierte dafür eine Prämie von 50 000 Rubel. Zudem wurde, was völlig verboten ist, ein Experiment am laufenden Atomkraftwerk unternommen. Man wollte bei Niedrigstromzufuhr ein Maximum von Energie-Erzeugung. Dafür waren die Warnsysteme ausgeschaltet worden.

Die Schüler wollten aber auch wissen, wie die Wissenschaftler und die Sodi-Leute überhaupt zu diesem Thema kamen. Dabei wurden interessante Einblicke in die Biografien deutlich. Die Karriere bei Alexej Nesterenko war quasi von Kindesbeinen an vorgeschrieben. Sein Vater wirkte als anerkannter Atomphysiker. Sein Stellvertreter Iwan Krasnopjorow war erst sieben Jahre alt, als es zum Super-Gau kam. Für ihn war es vor allem die Neugier, das lange als Geheimnis gehütete Unglück aufzuklären und die Folgen zu erforschen. Hagen Weinbereg und Gisela Diefenbacher von Sodi bekannten, dass ihnen erst relativ spät bewusst wurde, welche Gefahren die angeblich so saubere Atomtechnik birgt. Dass es immer eine Gefahr mit weltweiter Ausbreitung bedeutet, wenn dabei ein Super-Gau passiert.

Auf die Frage, warum es trotz dieser Unglücke und des unendlichen Leids noch so viele Atomkraftwerke auch in Frankreich gibt und in Polen welche geplant werden, antworteten die Wissenschaftler ganz klar: Es ist der enorme Profit der Kraftwerksbetreiber.

Ulf Grieger / 14.03.2019, 06:00 Uhr

 

Ergänzung der kommissarischen Schulleiterin des Schulzentrum Frau Doreen Kind:

 

„Das Team des Schulzentrums Neutrebbin dankt allen Gästen, besonders Frau Diefenbacher, der Gemeinde Neutrebbin und dem nördlichen Lokalen Aktionsplan dafür, dass unsere Schüler/innen der Jahrgangsstufen 7-10 die Ausstellung „Wider das Vergessen“ über die Folgen atomarer Katastrophen im 20. und 21. Jahrhundert im Gemeindezentrum Neutrebbin besuchen durften. Des Weiteren danken wir für die eindrucksvolle Diskussionsrunde, die die Teilnehmer/innen für diese wichtige ernsthafte Problematik sensibilisiert hat.“
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